Montag, 17. September 2012
Zwei Wochen in Harvard
Der Sonntag war gänzlich der Vorbereitung der kommenden Woche gewidmet. Die Professoren ziehen das Tempo an, da wir uns bis jetzt offensichtlich gelangweilt haben ... In der kommenden Wochen habe wir mitunter vier Classes täglich und beginnen an einigen Tagen um 7:45 Uhr. Die tägliche, persönliche Vorbereitungszeit beträgt teilweise unter zwei Stunden für vier Fallstudien (schwierige Materie auf 20-30 Seiten in Englisch). Nun ja, ich höre schon das Klagen auf und erzähle ein bisschen über das Programm.
Das Advanced Management Program der Harvard Business School startete im Jahre 1945 als weltweit erstes Executive Education Program überhaupt. Der Fokus des Programms war und ist die Ausbildung von Senior-Führungskräften, ganz nach der HBS-Mission "We educate leaders who make a (positive) difference in the world." Die Länge des Programms wurde in den Jahren 1987 bis 2007 von ursprünglich 13 Wochen schrittweise auf 8 Wochen reduziert, wobei das grundsätzliche Format gleichblieb.
Unsere 170 Teilnehmer des AMP 183 sind unglaublich international: wir haben jeweils etwa 30% aus Amerika, Asien und Europa, sowie 11% Australier und 3% Afrikaner.

An Branchen und Funktionen ist hier alles vertreten, was es gibt.

Das Programm ist nach der Einführung und dem gemeinsamen Start in Accounting & Finance in acht Module unterteil, die in der folgenden Grafik abgebildet sind.

Heute Abend hat uns VG zum indischen Abendessen zu sich nach Hause eingeladen. Stellt euch das mal bei einem deutschen Professor in der zweiten Studienwoche vor!? Die Gespräche waren so vielfältig: An meinem Tisch saßen eine Koreanerin aus Kasachstan, eine Koreanerin aus USA, ein Amerikaner, eine Australierin, ein Japaner, ein Thai, ein Inder und ich als Deutscher. Der Austausch über verschiedene Kulturen hinweg ist wirklich unglaublich wertvoll.



Der Verhandlungskurs beginnt
Der Samstag beginnt mit dem Kurs Negotiations mit Guhan Subramanian. Das Harvard-Konzept zur Verhandlungsführung wurde in den 1980ern publiziert und ist die Standardmethode zur sachorientierten Verhandlung. Guhan wurde in seinen Endzwanzigern (!) zum Harvard-Professor berufen und ist der erste und einzige, der sowohl an der Harvard Law School als auch an der Harvard Business School eine Professur innehat. Er ist der Guru in Verhandlungstechnik und hat unter Anderem auch das Prinzip der Negotiauctions erarbeitet. Nach einer kurzen Einführung lässt uns Guhan das X-Y-Spiel spielen, mit dem wir erste wichtige Lektionen über Spieltheorie und Verhandlungen lernen. Der Kurs ist auf eine gute Woche konzentriert und beinhaltet auch zwei simulierte Verhandlungen.
Dick schaut mit uns anschließend die Entwicklung und heutige Situation von Indien an, die sich in allen Dimensionen fast schon dramatisch von Singapur unterscheidet.
Am Nachmittag hefte ich den 15-Zentimeter-Papierstapel mit Cases, Presentations und Mitschriften der Woche in die Ordner, mache meine Wäsche, habe mein Personal Training und genieße bei bestem Wetter auch mal für ein paar Stunden die geschäftige Atmosphäre am Harvard Square.



Samstag, 15. September 2012
Freitagabend
In der Morgensession mit Ananth haben wir an das gestrige Beer Game angeknüft und die Lieferkette von Barilla untersucht. Da mein Miniteam (Maria aus Portugal und ich) beim Beer Game ein überdurchschnittliches Ergebnis erzielt hat, bekommend wir eine Harvard-Baseballkappe als Preis (ein Collegiate Licenced Product mit Seriennummer, d.h. die HBS macht auch Merchandising-Umsatz). In der Session mit Marc haben wir wertbasiertes Management behandelt und die sieben wichtigsten Werttreiber jedes Unternehmens kennengelernt: Wachstum und dessen Nachhaltigkeit, operative Marge, Anlagevermögen, Working Capital, effektiver Steuersatz und Kapitalkosten. Der letzte Workshop mit Ranjay war psychologischen Entscheidungsmustern gewidmet (siehe zum Beispiel Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens oder Kitz, Tusch: Psycho? Logisch!). Wir haben eine folgenreiche Entscheidungssituation simuliert, bei der die meisten von uns aufgrund mehrerer psychologischer Muster falsch entschieden haben.
Die Abenddiskussion der Casestudy India 2012 war großartig, da wir einen Inder im Team haben, der viele Einsichten darüber hinaus bieten konnte. Auch unser Thai und unser Ghanese hatten hervorragende Diskussionsbeiträge aus Sicht der Entwicklungs- und Schwellenländer.



Freitag, 14. September 2012
Baseball at Fenway Park
Die heutigen Cases handeln von Innovationsmarketing bei KONE-Aufzügen (Das), Werttreiberanalyse (Marc) und Industrieanalyse des Cola-Marktes (Cynthia). Wie immer sind die Workshops von Das und Marc beeindruckendes Entertainment, Cynthia ist dagegen viel ruhiger und leiser.
Am Nachmittag führen wir eine programmgestützte Supply-Chain-Simulation durch, das sog. "Beer Game". Selbst in einer einfachen Lieferkette (ein einzelnes Produkt wird über eine vierstufige Lieferkette von der Fabrik zum Endkunden gebracht) ist die gleichzeitige Optimierung der Liefermenge und des Lagerbestands eine Herausforderung.
Am Abend haben wir das Baseballspiel Boston Red Sox gegen New York Yankees gesehen. Die Zuschauer legen viel mehr Wert auf Unterhaltung als auf das Spiel an sich. Außerdem passiert oft minutenlang nichts, wenn der Pitcher schlecht wirft oder der Batter schlecht trifft. Wir haben großen Spaß gehabt und haben es sehr genossen, das erste Mal seit Kursbeginn unter der Woche den Campus zu verlassen.



Donnerstag, 13. September 2012
Weitere drei Kurse starten
Nachdem gestern die Vertiefungskurse begonnen haben, starten heute drei weitere Kurse: "Accounting for Senior Executives", "Strategy" und "Building Competitive Advantage Through Operations". Die AMP-Struktur ist so aufgebaut, dass nach der Einführung in der ersten Wochen nun sieben Kurse parallel laufen - drei die gestern begannen, drei die heute begannen plus "Financial Management" und "Negotiations".
Zu den Professoren kommt noch Ananth Raman hinzu, der ein Experte in Operations und Business Logistics ist. Ananth diskutiert mit uns das Toyota Production System, welches auf Qualität, bezahlbare Preise und perfektes Timing ausgerichtet ist. Eine Kernerkenntnis ist, dass exzellente Ausführung einer mittelmäßigen Strategie immer die mittelmäßige Ausführung einer exzellenten Strategie schlägt. Cynthia bringt uns mit der Fallstudie "Apple 1999" das Porter'sche Five-Forces-Modell nahe und stellt die Kernfragen einer Unternehmensstrategie in den Mittelpunkt: Was bin ich bzw. meine Firma? Warum habe ich bzw. meine Firma Bedeutung? In der Fallstudie PolyMedica diskutieren wir mit VG die Absichten und Vorgehensweisen von professionellen Leerverkäufern.
Am Abend beginnt die Serie der "Rotational Dinners", bei denen die Teilnehmer zum Abendessen willkürlich gemischt werden. Ziel ist es, sich im Laufe der acht Wochen mit jedem der 170 Kommilitonen zumindest kurz ausgetauscht haben. Unsere anschließende Living Group Discussion wird zum ersten mal etwas erhitzt, ob wir tiefer in die Fälle einsteigen sollen, oder uns an die vereinbarten Regeln und somit Endzeiten halten.



Mittwoch, 12. September 2012
Dienstag war großartig
Ein großartiger Tag in Harvard beginnt mit meinem Personal Fitness Program, bei dem mich Dana durch verschiedene Kraftübungen treibt. Mein Fitnessplan umfasst jetzt Montag-, Mittwoch- und Freitagfrüh Indoor Cycling, Dienstagfrüh Group Strength, Donnerstagnachmittag Yoga Basics sowie Donnerstagfrüh und ggf. Samstagnachmittag Personal Training. Trotzdem habe ich nach der ersten Woche das Gefühl zuzunehmen - dank dem hervorragenden Essen.
Nachdem die erste Woche bis einschließlich gestern der Einführung (Nike-Fallstudien) und den Accounting und Finance Basics gewidmet waren, geht es jetzt mit den weiteren Kursen parallel weiter. Heute beginnen die Kurse "Leadership in Organizations", "Marketing" sowie "Business, Government, and the International Economy". Ranjay baut seinen Leadership-Kurs nach der griechische Trias Logos, Pathos und Ethos auf, wobei er den Schwerpunkt im AMP-Programm auf Pathos legt. Wichtige Erkenntnis für viele von uns: Leadership braucht weniger Charisma und Inspiration als vielmehr erlernbare Verhaltensweisen. Die Marketing-Session mit Das war sensationell: Er hat mich fast angeschrien, damit ich die Marktlücke im Zahnbürstenmarkt erkläre, die er bei all den vollen Regalen in den Supermärkten nicht erkennen kann. "Marketing is about making your customer a hero", war eine treibende Erkenntnis. Die Session über Singapur mit Dick Vietor hat aufgezeigt, wie "Singapur Inc." äußerst erfolgreich wie ein Unternehmen geführt wird. Die Gehälter der Minister sind ungewöhnlich hoch, um die Besten in die Regierung zu bekommen und Korruption zu unterdrücken, und an die wirtschaftliche Entwicklung gekoppelt. Im Jahr 2011 hat der Premierminister Singapurs über 2 Millionen US-Dollar verdient - wenige Jahre zuvor war es nicht die Hälfte.
Am Nachmittag hören wir Michael Porter über die nachlassende Wettbewerbskraft der USA referieren.

An dieser als auch an anderen Sitzungen hat mich bewegt, dass in Harvard mitnichten ein Turbokapitalismus gelehrt wird. Im Gegenteil legt die HBS sehr viel Wert auf Verantwortung, Nachhaltigkeit, Ethik etc. Porter ruft dazu auf, die unteren Einkommensschichten in den USA zu stärken und eine breitere Einkommensverteilung anzustreben. Das war in Summe bislang der bewegendste Tag.



Dienstag, 11. September 2012
Beginn der 2. Woche
Heute ist der letzte Tag des Accounting and Finance Modules. Wir sprechen mit VG über einen Private-Equity-Investor, der seine Vorschläge zur Optimierung der Target Corporation mit Macht durchsetzen möchte. Die Vorschläge sind allesamt kurzfristiger Natur und werden von der Mehrheit von uns abgelehnt. VG betont eine ethische und langfristig ausgelegte Firmenstrategie. Anschließend gibt Marc die erste Lecture, also eine richtige Vorlesung und keine Fallstudie, über globale Finanzmärkte. Globalisierung heißt keineswegs, dass sich die Länder wirtschaftlich annähern - im Gegenteil, es gibt große Unterschiede. USA und Europa beispielsweise unterscheiden sich drastisch in Aktien- und Rentenmärkten sowie in ihren Bankensystemen. Methoden und Normen, die für einen Markt entwickelt wurden, müssen in einem anderen sehr kritisch hinterfragt werden. Wieder ein Witz mit Wahrheitsgehalt: "The Americans have sophisticated systems for company ratings, the French have sophisticated systems for restaurant ratings." Paul Healy bringt uns GAAP- und Non-GAAP-Rechnungslegung am Beispiel von Apple und Groupon bei.
Am Abend begann die erste Runde der Rotation Dinners, bei denen wir andere Living Groups kennen lernen. Ich tausche mich mit einem CIO einer australischen Bank, einem Sales Director einer italienischen Kabelfirma, einem Chief Claims Officer einer amerikanischen Versicherung, einem Executive Director einer japanischen Fastfoodkette und einem Vice President einer amerikanischen Maschinenbaufirma aus.
Unsere abendlichen Living Group Discussions laufen immer runder, da wir uns an unsere eigenen Normen gewöhnt haben und einen Rhythmus finden.
Für meinen Blog werde ich meine tägliche Arbeitszeit auf maximal 15 Minuten begrenzen, ansonsten reicht die Tageszeit nicht aus. Mehr als dies ist da nicht drin - sorry Folks.



Montag, 10. September 2012
Die erste Woche endet
Heute habe ich mal richtig ausgeschlafen und bin erst um 6:30 Uhr aufgestanden ☺. Da das Fitnesscenter Shad Hall erst um 9 Uhr öffnet, ist das Joggen/Spinning ausgefallen und ich bin gleich ans Lernen gegangen. Vormittags wurde im Rahmen des Wellness-Programms eine Einführung in "Food Power" angeboten, die durch eine individuelle Ernährungsberatung in den nächsten Wochen ergänzt wird.
Am Nachmittag haben wir eine dreistündige Führung durch Boston gemacht. Boston ist eine der ältesten und historisch bedeutendsten Städte der USA und ziemlich europäisch. Es gibt 670.000 Einwohner und angeblich 300.000 Studenten; die Metropolregion umfasst 3 Millionen Menschen. Wir fahren an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorbei, sprechen aber doch mehr miteinander über das AMP anstatt unserer Führerin zuzuhören. Einen wundervollen Rundblick hat man vom Skywalk im Prudential Center.

Die Harvard Business School (HBS) wurde 1908 als "kleines Experiment" im neuen Gebiet der Management-Ausbildung gegründet. Zunächst auf dem Campus der Harvard University, konnte die HBS 1924 durch eine großzügige Spende einen eigenen Campus südlich des Charles River bauen. Heute bietet die HBS mit über 200 Professoren und 1.000 Angestellten ein MBA-Studiengang, neun Promotionsstudiengänge sowie 45 Executive Education Programs an, von denen das AMP das "Flagship Program" ist. Darüber hinaus gehört auch der Harvard Business Publishing Verlag zur HBS. Die Harvard Business School hat einen Jahresumsatz von rund 500 Millionen Dollar, von denen jeweils etwa 30 Prozent durch den Verlag und die Executive Education entstehen, knapp 20 Prozent durch das MBA-Studium. Der Umsatz kommt durch heftige aber offensichtlich marktkonforme Preise: Das zweijährige MBA-Programm kostet jeden der 900 Studenten schlappe 53.500 Dollar Studiengebühren pro Semester. Mehr als 20 Prozent der Erlöse kommen aus einem der größten amerikanischen universitären Stiftungsfonds, der Ende 2011 mit 2,8 Milliarden Dollar bilanziert wurde. Alle Zahlen beziehen sich nur auf die HBS, die Harvard University hat insgesamt einen Stiftungsfonds von rund 15 Milliarden Dollar. Darüber hinaus erhält die Harvard Business School zwischen 50 und 100 Millionen Dollar Geschenke jedes Jahr. So hat Ratan Tata, Chairman der indischen Tata Group, AMP-Absolvent von 1975 und Multimilliardär, der HBS 50 Millionen Dollar geschenkt, um die neue Tata Hall für das AMP-Programm zu bauen.
Nach unserer Case Discussion am Spätnachmittag hat uns unserer thailändischer Living-Group-Freund zum Essen eingeladen. Wir verbringen einen sehr netten und kurzweiligen Abend und sehen einer spannenden Woche 2 entgegen.



Samstag, 8. September 2012
Samstag = Wochenende?
Die Samstag-Morning-Class begann wieder mit Marc. Diese Verbindung von tiefer Fachexpertise und passenden Witzen an der richtigen Stelle ist einfach unnachahmlich - ich habe viel gelernt und wirklich Tränen gelacht. So hält er beispielsweise EBITDA für „Earnings Before I Trick the Damn Auditor“. Zwei Dinge waren ihm wichtig: Als Leader muss man sich mit den wichtigsten Unternehmenszahlen auskennen - auf den CFO zu verweisen, ist indiskutabel. Und man muss die wichtigsten Kennziffern (für ihn Return on Capital Employed und Operating Cashflow) mit Bleistift auf einem Briefumschlag berechnen können - offenbar hasst er Excel-Tabellen. In der zweiten Class mit VG lernen wir die wichtigsten Kennziffern der Investitionsrechnung im richtigen Kontext einzusetzen und zu bewerten: Payback Period, ROI, IRR und NPV. VG ist übrigens fachlich und didaktisch ebenso herausragend aber nicht so unterhaltsam wie Marc. Nach dem Mittagessen ist für heute Kursende. Aber die Vorbereitung der Cases wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Eine Übersicht über das Kursmaterial von Woche 2 listet die erschreckende Zahl von 528 zu lesenden, zu verstehenden und zu bearbeitenden Seiten auf - excluding exhibits!!!
Nachmittags habe ich die Fitnessanalyse für mein Personal Training. Ned nimmt meine Bewegungs- und Essgewohnheiten auf, vermisst mich von Kopf bis Fuß und testet meine Sportlichkeit. Ich bin einigermaßen zufrieden: Mein Körperfett ist soeben noch im grünen Bereich; Kraft, Beweglichkeit und Kondition sind gut bis sehr gut. Auf dieser Basis wird jetzt ein Trainingsplan erstellt, mit dem ich am Donnerstag beginne.
Jetzt komme ich gerade vom Dinner mit meinem Living-Group-Freund Jim am Harvard Square zurück, da Samstag- und Sonntagabend nicht auf dem Campus serviert wird. Die 17 Aussies und die acht Thais haben sich hingegen in ihren Landesgruppen zum Abendessen getroffen - ich schreibe gleich mal die sechs Deutschen an (und vielleicht die vier Schweizer auch noch; Österreicher gibt's diesmal nicht). Ich werde jetzt noch die über 30-seitige Fallstudie für Montagfrüh lesen, in der ich als Deep Diver nominiert bin.



Freitag in Harvard
Die Freitag-Morning-Class mit Marc Bertoneche war phänomenal! Er bringt uns schwierige Finanzkennzahlen wie ROCE oder EVA verständlich nahe, hat tolle Metaphern und ist bei aller tiefen Fachkenntnis auch ein großer Entertainer. Wir kommen überein, dass das Niveau unserer Harvard-Professoren weit über allem anderen ist, was wir bislang erlebt haben. Dazu hat Dean Nohria ausgeführt, dass im AMP die Creme-de-la-Creme der Harvard-Professoren eingesetzt wird - am Dienstag zum Beispiel werden wir die Legende Michael Porter hören.
In der zweiten und dritten Class nehmen wir dann die anderen Accounting and Finance Cases durch, die wir gestern vorbereitet haben. Der Fall Kansas City Zephyrs ist großartig geeignet, verschiedene Rechnungslegungsansätze zu diskutieren: Kann und soll der Kaufpreis eine Baseballmannschaft aktiviert und über 6 Jahre vermutete Einsatzzeit abgeschrieben werden? Wie gehe ich in der GuV und Bilanz mit dem Signing Bonus von Spielern um: aktivieren in voller Höhe und abschreiben oder als Sachkosten buchen? Die Classes am Freitag enden etwas früher als an den anderen Wochentagen. Also haben wir von 15 Uhr bis zum Freitagabend-Empfang um 17:30 Uhr Zeit zum Lesen der Cases vom Samstag. Ich allerdings lasse mir eine Massage geben, da meine rechte Schulter durch ungünstige Schreib- und Sitzhaltung total verspannt ist. Leslie massiert hervorragend und bekommt die Muskeln zum Glück weitgehend gelöst.
Aber nicht nur die Professoren, auch die Teilnehmer sind einzigartig: Unter den Teilnehmern sind neben den „üblichen“ Senior Vice Presidents, General Managers, Executive Directors und Chief XYZ Officers auch ein (weiblicher) Commissioner der australischen Victoria Police, eine General-Staatsanwältin aus Australien, ein Colonel (eine Ebene unter General!) des U.S. Marine Corps, der Truppen in Afghanistan und Irak geführt hat, und ein Miteigentümer einer berühmten dänischen Spielzeugfirma. Der Empfang am Freitagabend gibt uns die Gelegenheit, noch einige dieser außergewöhnlichen Teilnehmer kennen zu lernen. Wie immer endet der Tag in unserer Living Group, diesmal diskutieren wir bis 23:30 Uhr unterschiedliche Ansätze der Investitionsrechnung.



Freitag, 7. September 2012
Living Group Acceleration Day
Der Donnerstag steht im Zeichen der Teamentwicklung unserer Living Group. Unsere Living Group 34 hat mit mir acht Teilnehmer - zwei Frauen, sechs Männer - aus Amerika, Großbritannien, Australien, Japan, Thailand, Ghana und Deutschland. Unser Firmen decken eine große Vielfalt ab von Automobilclub, Bank und Bauunternehmung über Engineering, Kakaohandel und Marketingagentur bis zur Zementherstellung. Alle Mitglieder unserer LG34 sind Bereichsleiter (Senior Vice President, Executive Manager, General Manager ...) oder sogar Geschäftsführer ihrer Unternehmen (Managing Director ...).

Die Living Group ist der Dreh- und Angelpunkt des Advanced Management Programs in Harvard. Hier findet das tiefste Lernen und der intensivste Erfahrungsaustausch statt. Das Ziel des heutigen Tages, der von einem externen Coach moderiert wird, ist möglichst schnell durch die Phasen der Teamentwicklung zu kommen: Forming, Storming, Norming, Performing. Wir beginnen damit, uns gegenseitig (was wissen wir jetzt schon voneinander?) und anschließend sich selbst vorzustellen mit dem für was jeder brennt, mit aus Fehlern Gelerntem, mit Kindheitsprägungen, mit Stärken/Schwächen und mit Entwicklungszielen. Als nächstes erarbeiten wir Normen und Prozesse zur täglichen Bearbeitung unserer Fallstudien. Uns wird klar, dass wir wesentlich mehr Stoff erhalten werden, als wir lesen können - es sein denn wir arbeiten auch zwischen Mitternacht und Morgen. Harvard baut so erheblichen Arbeitsdruck auf seine Studenten auf. Bei dieser Erkenntnis kommt bei vielen von uns erheblicher Stress auf: Wie überstehe ich die acht Wochen? Warum habe ich mir das angetan? Ist diese persönliche Investition nicht mehr als ich leisten kann?
Nach dem Mittagessen lernen wir statt dem üblichen Feedback die neue Methode des Feedforward kennen - hier geht es darum, gezielt konstruktive Kritik zu üben. Der Hauptteil des Nachmittags ist der exemplarischen Erarbeitung einer Fallstudie gewidmet. Hier gibt es viele Hürden in der Zusammenarbeit zu nehmen, auch wenn unser Coach uns bestätigt, dass wir eine hervorragend funktionierende Living Group sind. Nachdem das Teaming um 16:15 Uhr zu Ende ist, geht es daran, die drei Fallstudien des Folgetages vorzubereiten. Es sind alles finanzielle Themen: Kreditvergabe für eine Medizintechnikfirma, Leveraged Buyout einer Einzelhandelskette und faire Gewinnverwendung eines Baseballclubs. Wir haben jeweils "Deep Diver" nominiert, die jeden Fall im Detail vorbereiten, die anderen lesen oder überfliegen den Fall. Ich muss als Deep Diver in knapp zwei Stunden den 30-seitigen LBO-Fall mit endlosen Zahlenkolonnen vorbereiten - ein verdammt schwerer Job, da die Zeit zu kurz, mein Wissen zu gering und die Erwartung der Kommilitonen an meine Erarbeitung hoch ist.
Wir gehen kurz Abendessen, andere Living Groups nehmen sich das Essen in Isolierschalen mit aufs Zimmer, um keine Zeit zu verlieren. Nach dem Abendessen diskutieren wir die drei vorbereiteten Cases und es zeigt sich ein Licht am Ende des Tunnels, indem wir eine Idee bekommen, wie wir die acht Wochen überstehen könnten. Um 22:30 Uhr ziehen wir uns in unsere Zimmer zurück, einige erarbeiten Excel-Sheets, andere fallen fix und fertig ins Bett.



Donnerstag, 6. September 2012
Wir kommen in Fahrt
Wieder um 5:15 Uhr aufgewacht habe ich zunächst Fallstudien gelesen. Um 6:15 Uhr findet die erste Spinning Class für das AMP-Programm statt. Cathy bringt 30 radelnde Manager 45 Minuten lang mit großem Enthusiasmus ins Schwitzen. Bei dem schwülen Wetter schwitze ich gefühlt ewig lang nach.
Wir nehmen heute mit vier weiteren Nike-Fallstudien gehörig Fahrt auf. V.G. Narayanan, Marc Bertoneche und Das Narayandas bringen uns diese in den Classes nahe.

Der Harvard-Stil ist - anders als ich es von deutschen Universitäten kenne -, Fragen zu stellen und uns so zur eigenen Erkenntnis zu leiten, anstatt das Wissen vorzutragen. Und das geht mit gehörigem Speed: Ein kurzes gedankliches Abgleiten rächt sich, indem man viele Minuten braucht, um wieder Anschluss an die Diskussion zu finden. Das sieht seine Rolle darin, uns zu provozieren und uns so zur kontroversen Diskussion und zum Nachdenken zu verhelfen. Wir sprechen über Ethik und Nachhaltigkeit und kommen schnell zu der Erkenntnis, dass wir als Manager für viel mehr verantwortlich sind, als wir beim ersten Gedanken meinen.
Abends treffen wir einen Ex-AMPler von der Tata-Group, der über seine Erfahrungen berichtet. Die wichtigsten Empfehlungen sind, die Harmonie in der Living Group zu fördern, ein Tagebuch zu führen, über seine mutmaßlichen Grenzen zu gehen und sich abseits des Tagesgeschäftes tief in das Lernen einzubringen. Wir tauschen uns in unserer Living Group sowohl über diese Empfehlungen als auch über unsere Erfahrungen der letzten Tage aus. Für morgen steht der Living Group Acceleration Day auf dem Lehrplan - ein ganzer Tag, der uns acht stärker zusammenschweißen soll. Um 22:30 Uhr beginnen wir mit der individuellen Vorbereitung auf den morgigen Tag, die eine knappe Stunde benötigt ...



Mittwoch, 5. September 2012
Erster Kurstag
Dienstagfrüh um 5:15 Uhr kann ich nicht mehr schlafen und bereite mich nochmals auf die erste Fallstudie vor: NIKE. Um kurz nach 6 Uhr entscheide ich mich, ins Fitnesscenter zu gehen, um den Kreislauf auf Trab zu bringen ... und bin bass erstaunt: 50 bis 60 Kardiotrainer sind fast voll belegt! Zum Glück finde ich noch ein freies Laufband und reihe mich in die Liga der Jogger ein. (Wahnsinn, wie Alex vielleicht sagen würde.)
Nach dem Frühstück geht es in die Opening Session, in der uns Ranjay Gulati, Chair des Advanced Management Programs bekannte Absolventen, die Fakultät, den Programmaufbau und einige Verhaltensregeln erläutert: Entkoppele Dich von Deiner Firma, achte auf Dein Zeitmanagement, bringe Dich in das Programm ein, höre Deinen Kommilitonen zu. Das wenden wir gleich im ersten Workshop mit der NIKE-Fallstudie unter der Leitung von Cynthia Montgomery an. Der Workshop ist eine exzellent moderierte Diskussion über die ersten zehn Jahre der Entwicklung von NIKE. Cynthia leitet die Diskussion, stellt Fragen, bohrt nach, weckt Widerspruch und bringt uns so zur Erkenntnis, wie die Gründer und Manager die Firma in diesen Jahren geführt haben.
Anschließend bereitet zunächst jeder für sich und wir dann gemeinsam in der Living Group den zweiten und dritten Teil der NIKE-Fallstudie vor. Und das ist nicht einfach: Zum Lesen, Verstehen und Erinnern von 35 Seiten bleibt jedem eine knappe Stunde. Ranjay erarbeitet nachmittags die weitere Entwicklung von NIKE und die Probleme, in die die Firma in den 80er Jahren gekommen ist.

Abends ist zunächst eine Welcoming Reception, bei der Professor Nohria, Dean der Harvard Business School eine tolle Rede über deren Mission hält: "We educate leaders who make a difference in the world." Nach dem hervorragenden Abendessen diskutieren wir in der Living Group den vierten und fünften Teil der NIKE-Fallstudie, die am Mittwoch auf den Lehrplan stehen. Wir beschließen den Tag mit einem Austausch über unsere beruflichen und privaten Hintergründe - eine faszinierende Mischung von Persönlichkeiten aus verschiedenen Ländern, Kulturen, Branchen, Funktionen ...



Montag, 3. September 2012
Registration Day
Am Montag, dem 3. September 2012 geht es für mich los mit dem "Advanced Management Program 183".

"Advanced Management Program 183"? Ja, dies ist tatsächlich die 183. Wiederholung dieses Programms im weitesten Sinne (naja, ein bisschen getrickst wurde bei der Zählung schon)! Die Amis denken halt gern in großen Zahlen - auch bei den Teilnehmern. An diesem Studium nehmen sage und schreibe 170 Top-Manager teil! Da ist schon "großer Bahnhof" bei der Ankunft und Zimmerverteilung. Wir wohnen zu acht in sogenannten "Living Groups" mit einem gemeinsamen Aufenthalts- und Arbeitsbereich und winzigen Einzel-Schlafzimmern.
Dann geht's los mit dem ersten Workshop "Reading and Discussing Cases". Kurzfassung: Hier gibt es keine Vorlesungen, sondern interaktive Workshops - voneinander lernen ist das Geheimnis. Basis sind "casestudies", also Fallstudien, von denen wir in den acht Wochen hier sage und schreibe 200 (!!) durchnehmen.
Eine Tour über den wunderbaren Campus im georgianischen Stil führt uns auch zur Shad Hall, einem großen und hervorragend ausgestatteten Sport und Fitness Center. Neben den üblichen Möglichkeiten wird uns ein Gesundheitscheck, Ernährungsberatung und Personal Training angeboten. Hier wird nicht nur für geistige, sondern auch für körperliche Fitness gesorgt!
Das gemeinsame Abendessen hat erstklassiges Niveau vom Essen über den Wein bis zum Tischservice. Den Abend beschließen wir mit intensiven Diskussionen bei Kaffee & Dessert in den Living Group Lounges. Wir alle sind ermattet von einem Tag voller neuer Eindrücke freuen uns riesig auf großartige acht Wochen in Harvard!



Ankunft in Boston
Liebe Freunde, am gestrigen Sonntagmittag habe ich in Boston das Land der unbegrenzten Möglichkeiten betreten. Mit einem herzlichen Dank an Lufthansa, die mich auf Business Class upgegraded hat, bin ich sehr entspannt geflogen und angekommen.

Die erste Nacht habe ich im Hotel verbracht, da die Universität erst ab Kursbeginn Zimmer anbietet. Gleich nach Ankunft habe ich die Gegend entlang des River Charles erkundet. Bei einem wundervollen Sonnenuntergang joggen viele am Fluss entlang und einige rudern sogar auf dem Fluss. Die Gegend um die Boston University ist abends voller Studenten aus aller Welt. Einige Läden entlang der Blandfort St haben sogar am Sonntagabend geöffnet. Viele Einsatzwagen der Polizei und Feuerwehr waren unterwegs. Die machen ja ein Feuerwerk aus Licht und Ton - dagegen sind deutsches Blaulicht und Sirene ein Spielzeug. Nach einer Pizza und einem Bostoner Bier bin ich müde ins Bett gefallen.